Universität und Faschismus

Dass die Beschäftigung mit diesem Thema keine rein akademische ist, zeigt der Blick auf die politische Entwicklung der letzten Zeit – Stichwort »Identitäre Bewegung«. Vortrag von Dr. Peter Chroust.

Samstag, 13. Mai 2017 - 13:00

10. Mai 1933, Opernplatz in Berlin. Studenten in SA-Uniformen, eskortiert von Verbindungsstudenten, werfen stapelweise »undeutsche« und »zersetzende« Literatur in einen 10 Meter hoch lodernden Scheiterhaufen. Reichspropagandaminister Goebbels schickt den Büchern von Karl Marx, Heinrich Mann, Sigmund Freud und vielen anderen Autoren »Feuersprüche« hinterher. Durch die erhaltenen Filmaufnahmen der Bücherverbrennung wurde diese Aktion eines der markantesten Erinnerungsstücke zum Thema »Universität im Dritten Reich« – ähnlich wie die Entlassung jüdischer Gelehrter oder der studentische Widerstand der »Weißen Rose«.

Doch das Thema ist weitaus umfangreicher und komplexer. Lange Zeit überwog in der akademischen Beschäftigung die Meinung, der Nationalsozialismus sei per se eine anti-intellektuelle und deshalb auch anti-wissenschaftliche Ideologie – und Praxis – gewesen und damit der akademischen Welt prinzipiell fremd. Nach jahrzehntelangem Schweigen der deutschen (und österreichischen) Hochschulen über ihre eigene Rolle im »Dritten Reich« setzte an vielen Orten eine systematische Auseinandersetzung ein. Erstmals wurden Strukturen und Biografien rekonstruiert, Akteure und Opfer benannt. Die oftmals ähnlichen Rechercheergebnisse führten zu allgemeinen Fragen: Wie konnte der NS-Studentenbund schon vor 1933 die Mehrheit der deutschen Studierenden für sich gewinnen? Warum gab es an den Hochschulen so wenig Widerstand gegen die »Gleichschaltung«? Gab es überhaupt eine nationalsozialistische Hochschul- und Wissenschaftspolitik?

Ausgehend von einem kurzen Rückblick auf die Situation der deutschen Universitäten in der Weimarer Republik soll diesen und anderen Fragen nachgegangen werden – mit Beispielen und Dokumenten auch aus der Universität Gießen. Dass die Beschäftigung mit diesem Thema keine rein akademische ist, zeigt der Blick auf die politische Entwicklung der letzten Zeit – Stichwort »Identitäre Bewegung«. Der Geist steht längst nicht nur links, wie Kurt Tucholsky in den Zwanziger Jahren glaubte. Auch seine Werke brannten im Mai 1933 auf dem Scheiterhaufen von Berlin.

Dr. Peter Chroust (* 1951 in Wien), Politikwissenschaftler. Nach dem Studium in Gießen (Lehramt an Gymnasien) Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hamburger Institut für Sozialforschung, an den Universitäten Köln und Hannover, danach (bis 2016) Pädagogischer Mitarbeiter am Hessischen Institut für Lehrerfortbildung bzw. an der Hessischen Lehrkräfteakademie, 1987–1991 Mitarbeit an einer internationalen Arbeitsgruppe zur Sozialgeschichte europäischer Hochschulen am Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS), Paris.

Forschungen, Publikationen und Vorträge: deutsche Hochschulschul- und Wissenschaftsgeschichte, Internet und Politik (Taliban und Neonazis), Lernen mit Neuen Medien, Wirksamkeit von Lehrerfortbildung, Rumänien (wissenschaftliche, kulturelle und mediale Wahrnehmung Rumäniens in Deutschland im 20. und 21. Jahrhundert).

Veröffentlichungen u.a.: Gießener Universität und Faschismus. Studenten und Hochschullehrer 1918–1945; Friedrich Mennecke – Innenansichten eines medizinischen Täters im Nationalsozialismus. Eine Edition seiner Briefe 1935–1947; Die bürokratische Verfolgung. Doktorgradentziehungen an der Universität Gießen 1933–1945 im Kontext der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik.

In Vorbereitung: Zwischen Elfenbeinturm und Atombombe. Universität, Wissenschaft und Politik in Deutschland 1918–1968 (erscheint 2017).